Beim Fachgespräch der Allianz für gesellschaftlichen Zusammenhalt diskutierten wir mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft und der Politik über die Zukunft der Deutschen Einheit.
Die Diskussion um die Deutsche Einheit und die Transformation seit 1990 nimmt auch angesichts des Berichts der Regierungskommission "30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit" und dem geplanten „Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit“ derzeit wieder Fahrt auf. Auch Marco Wanderwitz, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, hat mit seinen Aussagen über Protestwähler in Ostdeutschland die Debatte weiter angeheizt. 30 Jahre nach der Wende bestimmen weiterhin die realen und gefühlte Unterschiede zwischen Ost und West die Diskussion. Aber wo stehen wir heute mit Blick auf unsere gesamtdeutsche Identität? Was braucht es, um in Zukunft zu einer starken gesamtdeutschen Bürgergesellschaft zu gelangen und welchen Beitrag können Stiftungen hier leisten?
Diese Fragen standen im Fokus des achten Fachgespräches der Allianz für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auf Einladung der Bertelsmann Stiftung, der Amadeu Antonio Stiftung, der Deutschen Nationalstiftung und der Stiftung Bürger für Bürger diskutierten am 17. Juni 2021 rund 50 Expert:innen aus Zivilgesellschaft, Kultur, Ministerien und Wissenschaft auf dem digitalen Fachgespräch „Die Zukunft der Deutschen Einheit – Transformation, Vielfalt und Zusammenhalt“ über eine gesamtdeutsche Identität, die Notwendigkeit der gemeinsamen Diskussion über Ost und West und die Rolle von Stiftungen im Transformationsprozess.
Auf dem virtuellen Podium saßen die Forscherin Jana Faus, die Autorin und Journalistin Valerie Schönian, der Zeithistoriker und Migrationsforscher Dr. Patrice Poutrus sowie der ehemalige Chef der Brandenburgischen Staatskanzlei und Mitbegründer des Progressiven Zentrums Thomas Kralinski. Der Journalist und Reporter beim MDR und BR Bastian Wierzioch moderierte die lebhafte Diskussionsrunde.
In dem Fachgespräch wurde deutlich, dass zwar in den letzten drei Jahrzehnten bereits einiges erreicht wurde, insbesondere was die Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland angeht. Gleichzeit bleibt weiterhin viel zu tun, unter anderem auch bei der Repräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen in Politik, Wirtschaft, Justiz, Medien, Wissenschaft und Gesellschaft. Thomas Kralinski wies darauf hin, dass neben der fehlenden Sichtbarkeit von Ostdeutschen Führungspersonen auch die Geschichte der letzten 30 Jahre in den Museen und Geschichtsbüchern des Landes keine große Rolle spielt. Auch hier müsse die gemeinsame Geschichte seit 1990 mehr Sichtbarkeit erhalten. Valerie Schönian, die als Nachwendekind in Ostdeutschland aufgewachsen ist, sieht in der derzeitigen lebendigen gesellschaftlichen Debatte ein positives Zeichen dafür, dass nun endlich diejenigen ihre Stimme erheben, die bislang nicht gehört wurden und dazu zählten auch Ostdeutsche und ihre Lebensgeschichten und Erfahrungen nach der Wende 1990.
Die Diskutant:innen waren sich nicht einig, inwieweit eine Gesamtdeutsche Identität bereits in weiten Teilen der Bevölkerung besteht und ob diese überhaupt notwendig ist. Das Grundgesetz als einendes Element sei zwar wichtig, jedoch brauche es auch ein gemeinsames Gefühl der Zugehörigkeit, das über formale oder funktionale Dinge wie gemeinsame Gesetze oder eine gemeinsame Sprache nur schwer erzeugt werden kann. Jana Faus, Co-Autorin der Studie : „30 Jahre deutsche Einheit – Gesellschaftlicher Zusammenhalt im vereinten Deutschland“, hob hervor, dass sie bei ihren Befragungen immer wieder feststellte, wie sehr die Suche nach einer gemeinsamen Identität und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit von den Menschen in beiden Landesteilen ausgeht. Patrice Poutrus machte deutlich, dass er eine gemeinsame Identität nicht für notwendig hält, vielmehr sei es wichtig noch einmal zu überlegen, wo die Gemeinsamkeiten von Ost- und Westdeutschen genau liegen. Wie sich in den letzten 30 Jahren zeigte, kann ökonomischer Wohlstand, der bei der Einheit 1990 als wichtigstes Ziel ausgegeben wurde, nicht allein sinnstiftend für eine Gemeinschaft sein.
Die Zivilgesellschaft und insbesondere auch Stiftungen können hier Raum für Dialog und Begegnungen schaffen und Engagierte vor Ort unterstützen, um einen Beitrag zur Entstehung einer gesamtdeutschen Bürgergesellschaft zu leisten. Auch das geplante „Zukunftszentrum für Transformation und Deutsche Einheit“ soll hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Das Fachgespräch fand im Rahmen der Fachgesprächsreihe „Was treibt die Gesellschaft auseinander, was hält sie zusammen?“ der Allianz für gesellschaftlichen Zusammenhalt statt. Mitglieder der Allianz sind die Alfred Toepfer Stiftung, die Amadeu Antonio Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Breuninger Stiftung, die Brost Stiftung, die Deutsche Nationalstiftung, die Körber-Stiftung, die Nordmetall Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, die Stiftung Mercator, die Stiftung Bürger für Bürger, die Vodafone Stiftung und die ZEIT-Stiftung. Weitere Fachgespräche der Allianz für gesellschaftlichen Zusammenhalt sind geplant.